Lehrplan und Fächer der Oberstufe

Die Oberstufe beginnt bei uns schon mit der 9. Klasse: nach der behüteten Klassenlehrerzeit in Unter- und Mittelstufe müssen die Schülerinnen und Schüler nun in immer stärkerem Maße selber die Verantwortung für ihr Lernen übernehmen und werden angehalten, ihre Lernfortschritte in adäquater Weise zu reflektieren und zu dokumentieren.

In diesem Lebensabschnitt, der stark von der Pubertät und daher von Umbruch und Neuorientierung geprägt ist, sieht der Waldorflehrplan zum einen verstärkt künstlerisch-praktischen Unterricht vor, der in seiner Vielseitigkeit eine möglichst umfassende lebenspraktische Allgemeinbildung zum Ziel hat. Zum anderen sollen in den kognitiv geprägten Fächern die eigene Urteilsfähigkeit und eine gewisse Selbsterziehung gefördert werden. Auch in der Oberstufe wird bei uns viel Wert auf den Klassenverband gelegt. Die überwiegenden Fächer werden im alten Klassenverband erteilt, lediglich in den KPU- und Wahlfächern teilt sich der Jahrgang (wie seit der Mittelstufe) in Gruppen. Nach der 11. Klasse teilt sich der Jahrgang dann in einen Abitur- und einen Realschul-Zweig. Die gemeinsame Schulzeit des gesamten Jahrgangs endet nach der 12. Klasse. Der letzte Schulabschnitt bringt dabei drei besondere Schwerpunkte mit: die Facharbeiten in der 11. Klasse, ein gemeinsames Theaterstück in der 11. oder 12. Klasse sowie der künstlerische Abschluss.

Im Laufe der 11. Klasse erarbeitet jeder Schüler eine individuelle Facharbeit, die in einer festlichen Vorstellung den Lehrern, Mitschülern und Eltern präsentiert wird. Zur Facharbeit gehört eine theoretische Auseinandersetzung, in einer ausführlichen Mappe dokumentiert, ein praktischer Teil sowie der Vortrag vor den Lehrern und der Öffentlichkeit.

Am Ende des 11. Schuljahres oder zu Beginn des 12. Schuljahres begegnen sich die Schülerinnen und Schüler noch einmal intensiv in der Erarbeitung eines modernen Theaterstückes

Hauptunterricht - Fachunterricht

Der Hauptunterricht des Klassenlehrers wird nun abgelöst vom Fachunterricht. Dieser wird von Lehrkräften gegeben, die sich in Ihrem Univesitätsstudium auf bestimmte Fächer spezialisiert haben. Mathematik, Deutsch, Kunstgeschichte, Geschichte, Biologie, Physik, Chemie und Erdkunde wird nun weiterhin im Epochenprinzip, aber von einzelnen Lehrkräften unterrichtet. Grundlegend bei allen Fächern ist auch hier der an der menschlichen Entwicklung orientierte Lehrplan. Die Unterrichtsinhalte der einzelnen Klassenstufen ergeben sich aus der jeweiligen Entwicklungssituation der Schülerinnen und Schüler. Als Beispiel:

Geschichte

Am Ende der Pubertät, die in der Regel mit dem Verlauf der 9. Klasse zusammenfällt, suchen die Schüler nach übergeordneten Werten und Vorbildern - es ist die Zeit der Idole. Der Geschichtsunterricht wird so aufgebaut, dass historisch wirksame Ideale im Vordergrund stehen: die amerikanische Unabhängigkeit, die das Ideal der Freiheit verwirklicht oder die französische Revolution, die das Ideal der Gleichheit bis zur Radikalität treibt. Des weiteren behandelt man die Themen des 20. Jahrhunderts: in wieweit konnte sich der einzelne den Fängen des Nationalsozialismus entziehen und zu Formen des Widerstands finden? Am Ende der 9. Klasse sollte man zum ersten Mal abschließend einen Überblick über die gesamte Menschheitsgeschichte bekommen haben. Ab der 10. Klasse werden viele Inhalte ein zweites Mal behandelt und auf eine neue, höhere Ebene gestuft. Die Schüler werden immer bewußter und reflektieren inzwischen anders. Sie können tiefer gehende Fragen stellen und beantworten. In der 11. Klasse nimmt man daran Anschluss und arbeitet an philosophischen und religionsgeschichtlichen Fragestellungen. In der zwölften Klasse schließt der Unterricht dann wieder an die Neuzeit an und thematisiert das 20. Jahrhundert.

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Deutsch

Auch im Fach Deutsch versuchen wir, der jeweiligen seelischen Gestimmtheit der Jugendlichen durch Lehrplan und Didaktik zu entsprechen. Auf diese Art pädagogisch angesprochen soll es den jungen Menschen leichter fallen, sich aus extremen Gefühlslagen herauszuarbeiten und die positiv aufscheinenden Ideale und Werte zu verfolgen. Die jungen Menschen sollen in sich entdecken und entwickeln, was ihr Lebensziel sein wird. Eigenständigkeit und Integrität sind die eigentlichen Lernziele. Hier aber darf der soziale Gedanke nicht fehlen. Das "Erkenne dich selbst" wird schließlich in der 11. Klasse ergänzt durch den Blick auf das Du, verdeutlicht durch die Frage des Parzival an seinen kranken Oheim: "Was fehlt dir?".

Naturwissenschaften

Die Welt von heute ist in starkem Maße durch die Errungenschaften von Naturwissenschaft und Technik geprägt. Diesem Aspekt Rechnung tragend werden Biologie, Chemie, Physik und Geographie als eigenständige Epochen in allen Oberstufenklassen unterrichtet.

Dabei geht es weniger um ein Vermitteln isolierter, faktischer und modellgeprägter Wissensinhalte, als vielmehr um ein echtes Durchdringen naturwissenschaftlicher Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten, auch vor dem Hintergrund ihrer allgemeinmenschlichen, sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen.

Der Erkenntnisprozess beginnt dabei immer mit der exakten Wahrnehmung eines Naturphänomens. Der genauen Beschreibung folgt die gedankliche Durchdringung, so dass das Erkennen von Gesetzmäßigkeiten als individueller Prozess von den Schülern erlebt wird.

Moderne Naturwissenschaft verlangt heute ein neues Denken, das den Menschen als Teil eines umfassenden Relationsgefüges versteht. Der spezifische Ansatz der goetheanistischen Naturwissenschaft versucht in diesem Sinne, die objektive Naturgesetzlichkeit mit den subjektiven Erkenntniskräften der Jugendlichen in einem aktiven Begegnungsvorgang zu verbinden.

Musik und Kunst, der künstlerische Abschluss

Die Schüler arbeiten über längere Zeit an diesem Projekt: es wird ein abendfüllendes Bühnenprogramm erarbeitet, bei dem die jungen Menschen zeigen, dass sie eurythmisch eigene Raumformen gestalten und Sprache und Musik bewegungsmäßig umsetzen können. Außerdem werden im Chor einige Liedstücke vorgetragen, je nach Konzept von klassisch bis modern. - das Publikum ist erfahrungsgemäß tief bewegt, wenn es die jungen Leute dort auf der Bühne sieht. Auch die an diesem Termin stattfindende Ausstellungseröffnung beeindruckt: es werden die plastizierten Köpfe, Malereien und Zeichnungen gezeigt. (Die Termine für die öffentliche Veranstaltung werden über unsere Website und im Wochenblatt bekanntgegeben.)

Fremdsprachen | ABU (Gesellschafts- und Lebenskunde)

In der Oberstufe werden die kulturelle Besonderheiten der Fremdsprachen und Länder weiter herausgearbeitet, ebenso die Grammatik, der Wortschatz und der Stil.  Ziel ist, über die Sprache sowohl fremde Kulturen und Denkweisen besser zu verstehen als auch die eigene zu reflektieren und zu hinterfragen.

Die Waldorfpädagogen sind sich der Tatsache bewusst, dass das grammatikalische, formale Wissen Ihrer Schüler in der Oberstufe oft schwächer ist als dass der Schüler eines konventionellen Fremdsprachenunterrichts. Allerdings hilft das in den Jahren davor gebildete innere natürliche Verständnis der Sprache, Grammatik jetzt schneller erlernen und verstehen zu können.

Themen aus anderen Fachbereichen können und sollen auch in den Fremdsprachenunterricht mit einfließen, nicht nur um den Wortschatz der Schüler zu erweitern, sondern auch, um durch die Sichtweise einer anderen Kultur an ein Problem anders heranzutreten.

Die Schüler, die nur eine Fremdsprache lernen, nehmen wie schon in der Mittelstufe am allgemein bildenden Unterricht teil (ABU). Dieser soll lebensnah gestaltet werden und sich an den Entwicklungsprozessen der jungen Menschen orientieren.

Es wurde ein umfangreiches Konzept für den allgemein bildenden Unterricht erarbeitet, welches Sie hier als PDF anschauen können: Konzept ABU Oberstufe.

Künstlerisch-Praktischer Unterricht

Die Schülerinnen und Schüler haben Pflicht- und Wahlfächer, die sie epochenweise durchlaufen (2 Schulstunden, 4 x pro Woche, 3–4 Wochen lang). Die Inhalte im einzelnen werden der Entwicklung entsprechend spezieller, feiner und anspruchsvoller (siehe dazu den Link "künstlerisch praktischer Unterricht").

Ausflüge, Klassenfahrten, Praktika

Ausflüge und Fahrten werden von den Klassenbetreuern organisiert. Viele 9. Klassen besuchen natürlich erstmal Berlin. Aber auch in den weiteren Klassenstufen werden anspruchsvolle Bildungsreisen angestrebt, die Welt- und Selbstbild fördern sollen.

In der Oberstufe sind wichtige Praktika (jeweils über 3–4 Wochen) eingebunden: das Landbaupraktikum in der 9. Klasse, das Feldmesspraktikum in der 10. Klasse in Tschechien, in der 11. Klasse das Berufspraktikum und in der 12. Klasse das Sozialpraktikum. Näheres dazu finden Sie unter dem Menüpunkt "Schulleben>Praktika".

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